Ein Erfahrungsbericht. Monique hat von dem Intensivtagebuch schon zweimal profitiert

Hallo,

mein Name ist Monique Weigel-Dietzel und bin 37 Jahre alt. Ich hatte schon zwei Ereignisse, bei denen mir ein Intensivtagebuch geholfen hat. Beim ersten Vorfall war ich 25 Jahre, hatte einen schweren Autounfall, bei dem ich fast verstorben wäre. Man musste mir die Milz entfernen (was letztlich die Ursache für meine zweite schwere Erkrankung war) , ich bin innerlich fast verblutet und hatte ein Schädel-Hirn-Trauma, wodurch mein Kurzzeitgedächtnis für ein paar Wochen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich war für ca. dreieinhalb Wochen im Wachkoma. Ich wurde von der Intensivstation in die Reha entlassen mit den Worten: „Schauen wir mal was die noch aus ihr rausholen können.” Im Krankenhaus wurde meinem Mann und meinen Eltern gesagt, wenn ich die Sache überleben sollte, würde ich ein schwerer Pflegefall. Ja, ich habe überlebt und bin KEIN schwerer Pflegefall.

In der Rehaklinik hat eine Schwester zu meinem Mann gesagt, er solle vielleicht ein Tagebuch anlegen, in das alle Besucher etwas zum Tag, was alles passiert ist, welche Fortschritte ich gemacht habe, rein schreiben: „Das kann ihrer Frau helfen, wenn sie wieder wach wird.” Und so war dem auch, ich bin langsam wieder wach geworden, musste neu laufen, essen, trinken, schreiben lernen. Mein Kurzzeitgedächtnis hat zu der Zeit nicht richtig funktioniert, das heißt, ich wusste abends nicht mehr, was am Tag passiert ist. Dementsprechend hatte ich auch leichte Depressionen, weil ich dachte, ich mache keine Fortschritte, und war am Verzweifeln. Daraufhin zeigte mir mein Mann das Tagebuch und ich konnte detailliert nachlesen, was ich schon alles erreicht habe. Das beflügelte mich und mein Kampfgeist war geweckt.

Ich machte fleißig alle meine Therapien und nachdem alles geschafft war, noch Sport im Sportraum der Klinik. Der Sport hat mir geholfen, den schweren Unfall so gut zu überleben (und wird mir noch im weiteren Verlauf sehr helfen). Ich war insgesamt ein Jahr drei Monate und zehn Tage in der Rehaklinik und habe diese aufrecht gehend und gestärkt verlassen.

Bei meiner zweiten Erkrankung zwölf Jahre danach hatte ich eine Sepsis mit Multiorganversagen durch einen sehr seltenes Bakterium (Capnocytophaga Canimorsus), welches meinen Körper nur durch die fehlende Milz angreifen konnte. Ich habe alle nötigen Impfungen, die empfohlen sind für Menschen ohne Milz, aber für dieses verkapselte Bakterium gibt es keine Impfung, da es so selten ist. Dieses Bakterium haben nur wenige Hunde – und ausgerechnet meine vierzehneinhalb Jahre alte Hündin.

Kurz erklärt: Sie hat sich mit der jüngeren Hündin geprügelt und ich – was man NIE machen sollte (und eigentlich weiß ich das auch, aber ich hatte in dem Moment keine andere Möglichkeit) – bin mit meiner linken Hand dazwischen und wollte die junge Hündin wegziehen. In dem Moment wollte die ältere Hündin die Junge beißen und erwischte meinen linken Handrücken. Es hat kaum geblutet (wenn es richtig geblutet hätte, wäre das Bakterium wahrscheinlich mit raus gespült worden). Ich habe desinfiziert und gekühlt. Und weiter gemacht mit dem täglichen Tagesgeschäft. Es war alles gut, am nächsten Tag hab ich noch Sport gemacht. Dadurch hat sich das Bakterium wahrscheinlich rasant ausgebreitet. Zum Glück. Warum, schreib ich später. Nach dem Sport bin ich mit den Hunden Gassi gegangen und hatte, als ich wieder nach Hause kam, Kopf- und Gliederschmerzen. Daraufhin hab ich abends die Symptome für Tetanus gegoogelt. Mein Mann fragte, woher ich das haben sollte. Am nächsten morgen bin ich aufgewacht und es ging mir richtig schlecht. Selbst die Hunde weigerten sich, Gassi zu gehen, das kenne ich zumindest nicht von der alten Hündin. Als es mir immer schlechter ging, hab ich meinen Mann geweckt und gesagt, dass wir ins Krankenhaus müssen. Ich hatte richtig Bauchkrämpfe. In der Notaufnahme hat man mich zuerst mit Verdacht auf Gallenblasenentzündung behandelt und operiert. Während der OP merkte man, dass es nicht die Gallenblase war, sondern von irgendwo her Blut in den Bauchraum lief. Man fragte sich, woher das kam und warum. Mein Mann fragte den Arzt, ob es daran liegen könne, dass ich soviel Nahrungsergänzungsmittel zu mir nehme (Whey (Eiweiß) zum Beispiel), daraufhin sagte der Arzt: „Es ist gut, dass Ihre Frau vorher soviel Sport gemacht und sich eiweißreich ernährt hat, davon zehrt jetzt ihr Körper, sonst wäre sie schon tot.” Da ich am Dienstag den Biss fotografiert und meinem Mann geschickt hatte, konnte er dem Arzt das Bild zeigen. Dem Arzt war jetzt klar, dass es nur das sein konnte und recherchierte alles darüber. Zum Glück hat mir der Arzt damals das richtige Antibiotikum gegeben. Ich wurde daraufhin mehrfach operiert und auch die Bissverletzung an meinem linken Handrücken wurde großzügig ausgeschnitten. Normalerweise muss das Körperteil, wo das Bakterium eingetreten ist, amputiert werden. Das musste bei mir nicht gemacht werden, da es bei mir wahrscheinlich so schnell ging mit dem Bakterium (und da bin ich dem Sport dankbar, denn ohne Sport wäre es nicht so schnell gegangen). Vor der zweiten OP sagte der Arzt zu meinem Mann: „Es steht schlecht um ihre Frau, verabschieden sie sich besser." Mein Mann fing recht schnell an, wieder ein Tagebuch zu führen, um für sich selber alles auch besser zu verarbeiten.

Ich hatte, als ich wieder langsam aus der tiefen Sedierung zurück kam und ich auch Gespräche in meiner Umgebung wieder wahr nahm, gedacht, ich will nur aus diesem Alptraum wach werden und meinem Mann davon erzählen. Nach einer Weile registrierte ich, dass es kein Alptraum war, sondern wirklich alles so passierte und ich dachte nur: „Nein, warum muss mir immer so eine Sch... passieren!" Zwischendurch habe ich auch wirklich gedacht, „Ach, mach’ doch einfach die Augen zu und sterb’.", habe die Augen zusammen gekniffen und auf einmal ging ein Alarm los mit rotem Blinklicht. Da hab ich wieder die Augen aufgerissen und gedacht, „Nein, dass kannst du nicht machen." Du musst ja deinem Mann davon erzählen und was ist mit den Hunden, wenn du nicht mehr da bist. Du hattest dich ja damals nicht von ihnen verabschiedet und jetzt kommst du nicht mehr nach Hause, die verstehen die Welt nicht mehr." Ja, ich hatte viele Gedanken, man hat ja Zeit, wenn man da so liegt.

Als ich wieder wach war, hab ich mich nicht getraut einzuschlafen, war also zwei bis drei Tage wach, hatte riesengroße Augenringe. Aber ich dachte, wenn ich jetzt schlafe, sterbe ich. Ich hab auch zu meinem Mann gesagt, als er da war: „Nimm mich mit nach Hause, die wollen mich umbringen!". Dem war natürlich nicht so, aber ich war die erste Zeit total durcheinander.
Mein Mann sagte nur: „Du musst jetzt hier bleiben, das Schlimmste hast du geschafft, jetzt kann es nur noch bergauf gehen. Und das schaffst du, du hast es schon einmal geschafft!"

Ich hatte zwar diesmal keine Kopfverletzung, es war und ist trotzdem toll, alles was passiert war, nachlesen zu können. Man kriegt ja hinter den Kulissen nicht alles mit und was die Angehörigen erleben, das konnte ich so besser nachvollziehen. Was ich zum Abschluss sagen will: Glaubt an euch selber und lasst euch nicht einreden, dass ihr das nicht schafft. Haltet an etwas fest, was ihr unbedingt erreichen wollt. Nach dem Unfall war es für mich, dass ich wieder mit meinen Hunden spazieren gehen wollte und dafür musste ich wieder laufen können. Diesmal war es einfach mein Überlebenswille, ich wollte einfach weiter leben. Damals, nach dem Unfall, dachte ich schon, Sport werde ich ich weiterhin machen, jetzt erst recht und hab ihn auch intensiver betrieben und automatisch angefangen meine Ernährung etwas umzustellen.

Verfasst von:

Monique Weigel-Dietzel

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Wahrnehmung von Intensivtagebüchern in der Pädiatrie